Der Charme der zweiten Reihe

Wir alle sind schon einmal zufällig über sie gestolpert: zauberhafte und überraschende Orte, die im Schatten gehypter Locations oder Regionen stehen. Und oft ist es lohnenswert, sich nicht mit der Masse zum Beispiel durch touristisch aufgerüstete Straßen schieben zu lassen – vorbei an Nippes und überteuerten Angeboten -, sondern die Intimität, Authentizität und den Charme der zweiten Reihe zu genießen.

Der Kulturweg „Vom Charme der zweiten Reihe“

Wer sich mit Mainfranken und den Weinorten rund um Würzburg beschäftigt, wird mit Informationen und Tipps zu den Dörfern entlang des Mainufers überhäuft. Diese kleinen Weinmetropolen sind tatsächlich sehr schön… aber nur, wenn man abseits der touristischen Hauptsaison, bei schlechtem Wetter oder unter der Woche durch die engen Gässchen schlendert und einen guten Franken probiert. Der feine Tropfen hat dann zwar trotzdem den üblichen Touri-Preis, aber wenigstens hat man die Chance auf einen Sitzplatz.

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Mit dieser Problematik der übermächtigen Konkurrenz haben sich ein paar Gemeinden der zweiten Reihe beschäftigt. Also Örtchen, die nur wenige Kilometer hinter den gut vermarkteten Weinorten liegen, aber von Besuchern schlicht nicht wahrgenommen werden. Wie macht man also auf sich aufmerksam, wenn man „im Hinterland“ ein Stück vom Kuchen abhaben möchte?

Die Gemeinden Theilheim und Lindelbach haben einen Weg gefunden: ein europäischer Kulturweg. Und dieser trägt einen Namen, der Erwartungen weckt: vom Charme der zweiten Reihe.

Kulturweg Theilheim, Charme der zweiten Reihe

Und eigentlich ist es nicht EIN Kulturweg. Es sind zwei Wanderwege, die als Nord- und Südschleife in Theilheim beginnen. Beide überschneiden sich entlang des Sportplatzes, so dass der dortige Parkplatz der perfekte Ausgangspunkt für meine beiden Wanderungen war.

Vom Charme der zweiten Reihe – Südschleife

Ende November war ich auf der Südschliefe unterwegs. Das Wetter war traumhaft und die Wanderung entpuppte sich als ideale Tour für Lost Place-Fans wie mich.

Eckdaten der Tour

  • Länge: 14 km
  • reine Gehzeit: ca. 3 Stunden
  • Schwierigkeit: einfach
  • Wegmarkierung: europäischer Kulturweg (gelbes Schiff auf Europaflagge)

Lützelquelle und Steinbruch am Lützelgrund

Die Wegmarkierung führt zügig aus dem Ort heraus in Richtung Wald. Und nachdem die Autobahn überquert ist, geht es am Waldrand weiter. Hier trifft man auf den früheren Hof Lützelfeld. Die Überreste des Hofs sind schon lange verschwunden, da die Siedlung bereits vor 600 Jahren aufgegeben wurde. Doch die gemauerte Einfassung der gleichnamigen Quelle lohnt einen kleinen Abstecher.

Dann wartet auch schon mein persönliches Highlight des Wanderwegs: der Museumssteinbruch von Lindelbach. Das große Gelände am Lützelgrund wird von tierischen Landschaftsgärtnern vor der Verbuschung bewahrt und ist teilweise für Besucher frei zugänglich.

Umgeben von Blöcken des hier typischen Muschelkalks finden sich verrostete Geräte, ein Stück alter Schienen für den Transport der schweren Steine und ein alter Holzkran. Allem haftet der einzigartige Charme eines Lost Place an.

Kulturweg Theilheim, Charme der zweiten Reihe
Kulturweg Theilheim

Oberhalb des Steinbruchs geht es weiter und man kann noch einen Blick auf den Boden des Geländes werfen, das an übergroße Pflastersteine erinnert.

Weiter geht es zum Fanni-Haus, das lange Zeit als Kantinenhäuschen nahe dem Steinbruch bewirtschaftet wurde. 2008 endete mit dem Tod der inzwischen 90 jährigen Fanni eine Ära und der Abriss des Hauses konnte nur knapp verhindert werden. Einen Ausschank gibt es leider nicht mehr. Doch wer weiß… vielleicht braucht es dafür einfach nur einen regen Besucherstrom, der den Charme der zweiten Reihe erleben möchte.

Kulturweg Theilheim

Lindelbach und die Stadtmauer von Eibelstadt

Entlang des Weinbergs geht es weiter nach Lindelbach, einem hübschen Örtchen mit einer 800 jährigen Geschichte und der sehenswerten Sebastianskirche. Heckenwirtschaften laden zu einem Stopp ein, der sich mir wegen Corona leider nicht bot.

Kulturweg Theilheim

Dann wird der Ort wieder verlassen und es geht durch Felder und Streuobstwiesen weiter. Zwischen den Bäumen hindurch bietet sich immer wieder ein schöner Blick auf den Weinberg auf der gegenüberliegenden Talseite und die Festung Marienberg in der Ferne.

Kulturweg Theilheim

Vorbei am jüdischen Friedhof von Eibelstadt, der leider weder zugänglich noch besonders sehenswert war, geht es weiter in den Ort selbst. Der Weg führt an der alten Stadtmauer am Rand des Ortskerns entlang und unterhalb der Weinberge weiter. Unter der Autobahn führt ein Tunnel wieder auf die andere Seite und durch den Wald geht es wieder zurück zum Ausgangspunkt in Theilheim.

Kulturweg Theilheim
Kulturweg Theilheim

Die Tourdaten der Südschleife auf Komoot

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Vom Charme der zweiten Reihe – Nordschleife

Eine Woche später nahm ich die Nordschleife in Angriff. Der Schnee eines kurzfristigen Wintereinbruchs und der teils unbefestigte Untergrund sind schon nach wenigen Tagen eine unerfreuliche Symbiose eingegangen. Sprich: es war eine Schlammtour, aber was soll’s. Bleibt die Outdoorkleidung sauber, hat man irgendwie das Thema verfehlt 😉

Eckdaten der Tour

  • Länge: 13 km
  • reine Gehzeit: ca. 3 Stunden
  • Schwierigkeit: mittel wegen einiger Steigungen
  • Wegmarkierung: europäischer Kulturweg (gelbes Schiff auf Europaflagge)

Durch den Wald zum Terroir F Randeracker

Der Startpunkt ist wieder der Parkplatz am Sportplatz von Theilheim. Von hieraus geht es direkt in Richtung Wald, der bei meiner Wanderung in Nebel gehüllt war. Der Schnee, der wenige Tage zuvor gefallen war, war nur noch vereinzelt zu sehen… das Winter Wonderland hält sich in der Region nie besonders lang.

Kulturweg Theilheim

Durch den Wald und an dessen Rand entlang ist das erste Ziel der Sonnenstuhlturm, der von Einheimischen auch als Kartoffelturm bezeichnet wird. Inzwischen hat er aber sogar noch einen weiteren Namen, denn er ist auch das Terroir F Randersacker, also einer der magischen Orte des fränkischen Weinbaus. Hier geht es um das Thema Geologie, denn der Muschelkalk trägt maßgeblich zum Geschmack des Frankenweins bei.

Kulturweg Theilheim
Kulturweg Theilheim, Charme der zweiten Reihe

Normalerweise hat man vom Turm aus einen schönen Blick über das Maintal und die Weinberge, doch das neblige Wetter ließ das Panorama schnell hinter einer weißen Wand verschwinden.

Kleine Rund durch Randeracker und weiter durch die Weinberge

Weiter geht es den Weinberg hinab nach Randersacker. Dies ist einer der bekannten Weinorte, um die es bei den beiden Kulturwegen gerade nicht gehen soll. Und so führt der Weg auch nicht zu den bekannten Touristen-Locations, sondern in einer kleinen Runde durch die engen, historischen Gassen „der zweiten Reihe“ und dann in Richtung Weinberg wieder hinaus.

Der Weg steigt entlang der zahllosen Weinstöcke an, bis das Naturschutzgebiet Marsberg-Wachtelberg erreicht ist. In einem weiten Bogen geht es in ein Seitental und am Rand des Weinbergs erst hinunter zur Straße und dann entlang des nächsten Weinbergs wieder hinauf. Ja, die Nordschleife hat ein ausgeprägteres Höhenprofil als die Südschleife…

Urlaubsturm inmitten des Weinbergs

Kaum ist die Steigung bewältigt, ist auch schnell der Urlaubsturm erreicht. Dieser Aussichtsturm hat jedoch keineswegs etwas mit Urlaub zu tun und bei meinem winterlichen Schlechtwetterbesuch wäre mir das auch nicht in den Sinn gekommen. Stattdessen stammt sein Name von seinen Erbauern Hedwig und Wolfgang Urlaub.

Kulturweg Theilheim

Der Turm befindet sich zwar auf Privatgelände, kann aber trotzdem auf eigene Gefahr betreten werden. Die Sicht ist normalerweise sicher super. Ich kann das wegen des schlechten Wetters aber leider nicht beurteilen.

Um Theilheim herum nach Teilheim

Der Weg führt weit um Theilheim herum, bis ein uriger Trampelpfad schließlich hinunter zum alten Friedhof und einer Infotafel führt. Durch die Gassen des Örtchens ist bald wieder der Parkplatz am Sportplatz erreicht.

Kulturweg Theilheim, Charme der zweiten Reihe

Die Tourdaten der Nordschleife auf Komoot

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Kulturweg Theilheim, Charme der zweiten Reihe
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Dieser Artikel enthält keine bezahlte Werbung und es bestanden keine Kooperationen. Es handelt sich um einen Erfahrungsbericht, der auf meiner eigenen, ehrlichen Meinung beruht.


2 Gedanken zu „Der Charme der zweiten Reihe“

  1. Hallo Verena,
    ich folge Dir schon länger auf komoot – heute habe ich bei meiner Recherche auch Deine Block „entdeckt“. Machst einen tollen Job – dickes Lob!
    Heute bin ich gerade eine „Teststrecke“ abgelaufen – da kamen Deine Erfahrungen aus Sommerhausen: der Kommentar in Bezug auf die Ausschilderung hat mich zum Schmunzeln gebracht. Das „Problem“ ist offensichtlich bekannt.
    Aktuell habe ich eine Ausbildung zum Wege-Markierer gemacht u. soll in der Region Eibelstadt/Sommerhausen aktiv werden. Dabei ist es mir zu wenig, nur ein paar Strecken (aktuell habe ich zwei kurze Runden) zu kennzeichnen – ich möchte etwas mehr aus dem Job machen. Ich möchte mehrere Strecken, mit verschiedenen Distanzen sinnvoll entwickeln, einheitlich beschreiben und zentral (z.B. „südliches Maindreieck und komoot oder . . .?) aber auch lokal (z.B. Sommerhausen) auf den jeweiligen Homepage-Seiten bzw. mit Übersichtstafeln klassisch u. digital vermarkten u.a. auch mit der Möglichkeit die Route aufs Handy zu laden. Das Laufen/Wandern soll einfach, attraktiv vielfältig u. motivierend für mehr werden.
    Anfang August habe ich ein Meeting mit VIP´s aus der Region – ich muss schauen, wie die Weichenstellung gelingt und ob die unterschiedlichen Anbieter bereit sind, ein einheitliches Konzept zu entwickeln.
    Meine Frage: sollte ich erfolgreich sein, würde ich mich gerne mal mit Dir über Deine vielfältigen Erfahrungen u. Ideen austauschen. Kannst Dun Dir das vorstellen?

    Liebe Grüße
    Burkhard

    Antworten
    • Hallo Burkhard,

      es freut mich, dass dir nach meinem Komoot-Profil auch mein Blog gefällt 🙂

      Offensichtlich sind wir beide mit dem status quo in der Region nicht wirklich glücklich. Das mit den kunter-bunten Wegmarkierungen stört mich auch. Wenn man sich Schweinfurt anschaut, sieht man, dass das auch anders/besser geht. Mit einem einheitlichen Design ließe sich die Region als Wanderregion viel besser vermarkten. Mein Outdoor-Reiseführer kann da nur ein erster, kleiner Schritt gewesen sein. Wenn man sich Würzburg anschaut, wo es auch offizielle Wege ganz ohne eigene Markierung gibt, ist da noch viel Nachholbedarf.

      Meine Herangehensweise an die Problematik ist eine andere als deine: ich will eine Bündelung aller offiziellen Wanderwege im Raum Würzburg und arbeite aktuell an einer entsprechenden Website.

      Einen Austausch fände ich interessant. Ich denke, wir haben beide ein Problem erkannt, das man angehen sollte.Schreibe mir gerne eine E-Mail an verena@hinter-dem-horizont.com, z. B. wenn dein VIP-Meeting nach deinen Vorstellungen verlaufen ist.

      Liebe Grüße

      Verena

      Antworten

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